Interview der Schülerzeitung Plancks Allgemeine Zeitung (PAZ) mit
Herrn Hebeler anlässlich seiner Pensionierung am 28.1.2005
PAZ: Herr Hebeler, wo haben Sie Ihr Abitur gemacht?
Hebeler: In Schleswig, an der Dom-Schule.
PAZ: Waren Sie ein guter Schüler?
Hebeler: In keiner Weise. Ich habe zwei Klassen wiederholt (7. und 9.
Klasse). Als ich in der 10. Klasse wieder Schwierigkeiten hatte, hat mein
Vater mich zur Elektrikerlehre im Landeskrankenhaus
("Verrückten-Anstalt") angemeldet. Von da an habe ich mir Mühe
gegeben, um doch noch das Abitur zu schaffen.
PAZ: Warum waren Sie so schlecht in der Schule?
Hebeler: Ich hatte zu viel Interessen, die mit der Schule nicht
vereinbar waren.
Ich war begeisterter Sportler im Verein "Schleswig 06". Im
Hochsprung war ich mit 1,82 m in einem Jahr Kreismeister. Zwei Jahre lang war
ich Schulbester bei den Bundesjugendspielen. Natürlich war ich auch im
"Domschul-Ruderclub". Übrigens war "Der König von Mallorca",
Jürgen Drews, ein Mitschüler in einer Parallelklasse.
Dann habe ich bei den "Christlichen Pfadfindern" viel unternommen. Hier
haben wir uns auch während der Woche oft in einer Blockhütte
außerhalb Schleswigs aufgehalten.
Dann habe ich leidenschaftlich gerne Rock ´n´ Roll getanzt. Am
Anfang gab es sonntags Tanz-Tee im "Hohenzollern", später ging es
samstags in einen Jazz-Keller in Schleswig oder ins Theater-Café.
PAZ: Warum haben Sie sich für den Lehrerberuf entschieden?
Hebeler: Ich wollte nie Lehrer werden. Nach dem Abitur war ich
zunächst 2 Jahre bei der Bundeswehr in Bayern, in einer Einheit am
Starnberger See. Ich wollte wenigstens einmal in meinem Leben für kurze
Zeit das schöne Schleswig-Holstein verlassen. Nach 1 ¾ Jahren
wurde ich Offizier und habe als Zugführer einer Fernmeldeeinheit
(Fernsprechvermittlung und Fernschreiber) schon in jungen Jahren große
Verantwortung über Menschen und Material übernommen.
Da in meinem Umfeld alle Lehrer waren - Vater, Schwester, Schwager, Onkel
sowie Opa - und ich immer schon phantasievoll und voller Tatendrang war, habe
ich nach der Bundeswehrzeit in Kiel Wirtschaftswissenschaften studiert. Nach
dem Examen zum Diplom-Volkswirt 1971 kam dann der Ernst des Lebens. Eine der
Ausbildung angemessene Anstellung fand man nur außerhalb
Schleswig-Holsteins. Das wollte ich aber nicht. Heide Simonis, eine
Studienkollegin von mir, fand zunächst eine Anstellung beim Arbeitsamt.
Walter Reimers (zur Zeit Rektor der Fachhochschule Kiel), mit dem ich in den
letzen Jahren der Studienzeit in einem Haus in der Hansastraße gewohnt
habe, wollte im Hochschulbereich bleiben. Das sagte mit gar nicht zu.
PAZ: Wie kamen Sie denn nun zur Max-Planck-Schule?
Hebeler: Ich hörte von einem Lehrangebot an der
Max-Planck-Schule für das Fach Wirtschaftlehre, welches im Rahmen der
Einführung der Studienstufe angeboten werden sollte. Nach einem
Gespräch mit dem Schulleiter, Herrn Grehn, habe ich mich dann nach
reiflicher Überlegung dazu entschlossen, als Diplom Volkswirt, im
allgemeinbildenden Schulwesen Lehrer zu werden.
Während meiner Referendarausbildung im berufsbildenden Schulwesen, am
Wirtschaftsgymnasium in der Rankestraße, habe ich schon 8 Stunden in
der Woche an der Max-Planck-Schule nach einem selbst erstellten Lehrplan
unterrichtet. Die Kursthemen in den ersten Jahren waren neben den
Standardthemen z.B. "Vermögensbildung und Steuerrecht",
"Wirtschaftsmathematik", "Einführung in die Marktforschung". 1974 haben
bei mir die ersten Schüler ihr Abitur im Fach Wirtschaftslehre gemacht.
PAZ: War der Lehrerberuf für Sie, als Diplom-Volkswirt im
allgemeinbildenden Schulwesen, nun die richtige Berufswahl?
Hebeler: Ja, in jeder Hinsicht! Bei der Bundeswehr habe ich schon
viel Freude an der Ausbildung von Soldaten gehabt. Es war auch vorauszusehen,
dass es im Fach Wirtschaftslehre in absehbarer Zeit keinen Lehrplan gab, so
dass ich einen hohen Entscheidungsspielraum bei der Auswahl der Kursthemen
hatte. Das war für mich sehr wichtig. Meine Unterrichtsinhalte waren
seit 1971 immer darauf ausgerichtet gewesen, Schüler optimal auf das
Leben in unserer Wettbewerbsgesellschaft vorzubereiten.
1982 wurde mein erster Computer im Mathematikunterricht in einer 7. Klasse
im Rahmen der Zinsrechnung eingesetzt. Mit dem Tabellenkalkulationsprogramm
Quattro Pro 1 wurden Tilgungspläne für Hypothekendarlehen erstellt.
Mit meinem zweiten Rechner, einem Schneider PC mit 2 Laufwerken, wurde im
Fach Wirtschaftslehre ein anspruchsvolles amerikanisches
Unternehmensplanspiel für Manager ("Business Simulator")
durchgeführt.
PAZ: Wie sind Sie mit dem Unterrichten klar gekommen?
Hebeler: Am Anfang war mein Unterricht noch sehr theoretisch. Nach
ca. 2 Jahren war das aber kein Problem mehr. Um möglichst schnell viel
Unterrichtserfahrungen zu bekommen, war ich parallel zur Schule noch an der
"Deutschen Angestellten Akademie", der "Deutschen Akademie für
berufliche Bildung", der "Wirtschaftsakademie" und der "Pädagogischen
Hochschule Kiel" tätig. Die Schüler haben meine Tätigkeit an
der Schule dadurch gewürdigt, dass sie mich in einer konfliktreichen
Zeit, Mitte der siebziger Jahre, 11 Jahre lang zu ihrem Vertrauenslehrer
gewählt haben. In dieser Funktion habe ich mehrere "Künstlertage"
an der Schule organisiert und fühlte mich als "Fels in der Brandung",
oft als einzige Aufsicht, bei heißen Schulfesten mit ca. 400
Schülern in der "Pumpe" oder der "Räucherei".
PAZ: Wie sind Sie zu Ihrem legendären Resthof in Tolsrüh
gekommen?
Hebeler: 1969 habe ich an der Universität die Frau meiner
Träume kennen gelernt. Mit ihr konnte man große Pläne
verwirklichen. 1971 haben wir geheiratet, eine Wohnung in der
Hansastraße gemietet, und waren von nun an ständig auf der Suche
nach einem Wochenendhaus.
1973, nach meinem zweiten Staatsexamen, haben wir einen alten
Resthof (Baujahr um 1800) in Tolsrüh bei Loose, zwischen der
Eckernförder Bucht und der Schlei, gefunden. Und dann ging die Arbeit
los. Bis auf den Dachstuhl habe ich, manchmal mit tatkräftigen
Schülern, Lehrern und Verwandten, zwei Gebäude bis auf den
Dachstuhl abgerissen und - abhängig von den vorhandenen finanziellen
Mitteln - an den Wochenenden und in den Ferien neu aufgebaut. Das hat fast 20
Jahre gedauert. 1975, mitten in den Abrissarbeiten, wurde unsere Tochter
geboren. Jetzt bekam die Arbeit einen neuen Sinn. Ich habe mich voll den
Arbeiten: Betonieren, Mauern, Putzen, Fliesen legen, Elektrik- und
Wasserinstallation sowie dem Heizungsbau hingegeben. Die Mühe hat sich
gelohnt. Auf 4500 qm stehen heute zwei neue Häuser, es gibt 3 Teiche,
eine Barock-Gartenanlage, einen Nutzgarten, eine Streuobstwiese, ein
Gewächshaus und natürlich einen Swimming-Pool.
PAZ: Die Schüler sind doch wohl nicht nur zum Bauen bei Ihnen
gewesen?
Hebeler: Nein, es gab nur einen harten Kern von bauwilligen
Schülern. Die meisten der ca. 900 Schüler, die mich besuchten,
kamen im Rahmen von Klassenfahrten, Wandertagen oder Kursfeiern zu mir.
Häufig haben sie bei mir übernachtet. Viele Schüler haben mich
auch besucht, um mir beim Bau z.B. einer Schaukel zu helfen, oder
gemütlich neben den Kühen zu grillen. Vielen hat die erlebnisreiche
Moorwanderung in der Nähe des Hofes gereizt. Man wollte "Willi"
begrüßen oder mit "Else" sprechen, zwei meiner Nachbarn, die in
meinem Unterricht als Beispiele für natur- und heimatverbundene sowie
rechtschaffende Personen gedient haben. So ist Tolsrüh bei
Schülergenerationen zu einem Markenzeichen geworden. Heutzutage treffe
ich bei Elternversammlungen oder beim Abitur immer wieder Eltern, die sich
noch gut an Tolsrüh erinnern können.
PAZ: Wie haben Sie Ihre Energie nach dem Ende der Bauzeit eingesetzt?
Hebeler: Nach dem Ende der Bauzeit in Tolsrüh, ca. 1993, habe
ich noch bis etwa Ende 1997 Wohnungen in einem Etagenhaus meiner verstorbenen
Tante renoviert. Dann kam einige Wochen die große Leere. Auf der Suche
nach neuen Betätigungsfeldern bin ich durch das Handelsblatt darauf
aufmerksam geworden, dass sich in den nächsten 10 Jahren das Internet
weltweit immer mehr durchsetzen wird. Warum sollte man nicht jetzt schon
Schüler auf die neue Entwicklung vorbereiten? Also verlagerte ich meine
gesamte Energie jetzt zunächst zu Hause auf die Internetarbeit. Herr
Boysen hat mir dann dankenswerterweise über den Verein der Freunde der
Max-Planck-Schule zum Schuljahresbeginn 1998/99 einen Computer mit
Internetanschluss für den Medienraum I finanziert. Nach einem halben
Jahr Internetarbeit im Unterricht, mit etwa 10 Stunden Vorbereitung in der
Woche, veröffentlichte ich in einer Schrift, "Schüler-Online Nr.
1", die ersten Recherche-Links für den Unterricht. Diese Links wurden
Anfang 1999 von den Kieler Nachrichten unter www.kn-online.de
übernommen.
Schon früh habe ich eine Konzeption entworfen, wie mit dem Internet im
Schulunterricht rationell gearbeitet werden kann. So dürfen Schüler
bis zur Klassenstufe 10 nicht mit Suchmaschinen arbeiten sondern nur auf der
Grundlage von durch den Lehrer veröffentlichten Homepages mit
ausgesuchten Recherche-Links. Weiter müssen sie Projektarbeiten mit dem
HTML-Editor Phase 5 schreiben, um sie im Internet zu veröffentlichen.
Das geschah zunächst über den Onlinedienst der Kieler Nachrichten,
später dann aber unter meiner Internetadresse www.recherche-links.de.
Heute habe ich ca. 1700 Schülerdateien aus 6 Jahren Internetarbeit im
Unterricht unter der Adresse www.recherche-links.de/bildung erfasst.
PAZ: Warum wollen Sie, mit jetzt 63 Jahren, unsere Schule schon
vorzeitig verlassen?
Hebeler: Es gibt viele Gründe. Hier nur einige: Ich habe in der
Schule durch Informationsveranstaltungen Lehrer über meine Arbeit
unterrichtet. Die Öffentlichkeit hat von meiner Arbeit durch die Kieler
Nachrichten, die Teilnahme an 2 Wettbewerben sowie durch eine
Veröffentlichung in einem Buch "Multimedia-Didaktik" (Springer-Verlag,
2001) erfahren. Ich merke immer mehr, dass ich mich mit meinen Vorstellungen
über den Einsatz des Internets im Unterricht zur Zeit im Bildungsbereich
nicht durchsetzen kann. Prof. Dr. Frank Thissen, Professor für
Multimedia-Didaktik an der Universität Karlsruhe, mit dem ich
längere Zeit zusammengearbeitet habe, meint dazu: "Sie sind
wahrscheinlich Ihrer Zeit 50 Jahre voraus".
Dann hat auch meine Motivation für das Fach Wirtschaft/Politik stark
abgenommen, als ich nach zwei selbst erstellten Lehrplänen den vom
Schuljahr 2002/2003 an gültigen Lehrplan gelesen habe. Bei den
umfangreichen Wirtschaftsthemen ist es dem unterrichtenden Lehrer jetzt
selbst überlassen, Themen auszuwählen und ohne zeitliche Begrenzung
zu behandeln. Für mich ist diese Freiheit der völlig falsche Weg.
In der Wirtschaft ist alles interdependent, d. h. voneinander abhängig.
Man kann nicht einmal irgendein Thema wählen dürfen und dann ein
völlig anderes. Man muss ganz klar vorgeben, welche Themen für das
Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge in einer
Wettbewerbsgesellschaft erforderlich sind.
Außerdem wird in den Abiturarbeiten bei zweistündigen Grundkursen
von mir in der Zukunft mehr Wissenschaftlichkeit verlangt. Für mich hat
aber immer die aktuelle Umwelt der Schüler bei Abitur- und Klausurthemen
auf der Grundlage von Zeitungen und Zeitschriften sowie der "Monatsberichte
der Deutschen Bundesbank" im Vordergrund gestanden: "Preiskampf an den
Tankstellen", "Die neuen Ladenöffnungszeiten", "Computerkauf bei
Discountern", "Kartellbußen für Chemiekonzerne", "Der
Verbraucherkonkurs", "Die Lage der Werften in Schleswig-Holstein",
"Auswirkungen der Zinspolitik auf die Aktienmärkte", "Die ABM Stellen
und ihre Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt". 30 Jahre lang habe ich in
fast jedem Jahr Abiturprüfungen abgenommen. Noch nie habe ich
eingereichte Abiturarbeiten zur Nachbearbeitung zurückbekommen. Diesen
Erfolg will ich jetzt nicht noch in Frage stellen.
Ein wesentlicher Grund ist auch, dass ich auf das geänderte
Schülerverhalten in den letzten Jahren immer weniger überzeugende
pädagogische Antworten finde.
Nach meiner Pensionierung kann ich dann wieder die Tätigkeiten vom
Anfang meiner Schulzeit fortsetzen, wie edle Dessertweine herstellen, z.B.
Holunder-, Brombeer- oder Rhabarberwein, Brot backen und Pilze züchten.
Im Garten kann ich meiner Frau viel Arbeit abnehmen. Ich darf dann vielleicht
auch einen Teil unserer 300 m langen Hecken schneiden; auf keinen Fall aber
die Visitenkarte des Hauses, die 70 m lange Hecke zur Straße.
PAZ: Trauern Sie gar nicht ihren lieben Schülern an der
Max-Planck-Schule nach?
Hebeler: Natürlich tue ich das. Besonders werden mir die
Projektarbeiten im Unterricht fehlen. Wo in der Bundesrepublik werden von
Schülern so viele Arbeitsergebnisse im Internet veröffentlicht? Ich
denke nur an "Katastrophen durch Öltanker" (7. Jg.), "Japan im
World-Wide-Web" (9. Jg.), "Verbraucherverhalten bei IKEA" (11. Jg.),
"Verkaufsshow nach dem Commercial Fernsehen" (12. Jg.), "Meine erste
Studentenbude", "Internationale Beziehungen, Krisen und Konflikte",
"Bewerbung, Einstellungstests und Vorstellungsgespräch" (alle 13. Jg.).
Ohne eine solches projektorientiertes Arbeiten in allen Klassenstufen und in
jedem Fach, welches sich an der Umwelt und den Bedürfnissen der
Schüler orientiert, wird die zukünftige Bildungspolitik in Zukunft
nicht auskommen. Hier braucht man engagierte, phantasievolle und
selbstbewusste Lehrer, die in ihrem Auftreten, ihrer Leistungsbereitschaft
und Leidenschaft als Vorbilder für die Schüler gelten können.
Ich würde mich freuen, wenn es nicht 50 Jahre dauert, vielleicht nur 30
Jahre, bis die Schule bei der Nutzung des Internets im Unterricht meinen
heutigen Stand erreicht hat.
PAZ: Vielen Dank für das Gespräch.
www.recherche-links.de/bildung/bewerbung
|